Durchs Frustessen zu mehr Nachhaltigkeit?

Durchs Frustessen zu mehr Nachhaltigkeit?

Unser Lebensmittelkonsumverhalten hat sich durch die wiederkehrenden Lockdowns grundlegend verändert. Sowohl die gesundheitlichen Auswirkungen davon als auch die strukturellen sind der Inhalt umfangreicher Forschung, genauso wie die Frage, wie nachhaltig diese auch unsere Zukunft prägen werden. Zwar haben die starke krisenbedingte psychische Belastung und Unsicherheit bei einigen zu ungesundem Esseverhalten geführt, zur gleichen Zeit kam es allerdings auch zu einem verstärkten Regionalitäts- und Nachhaltigkeitsbewusstsein beim Einkaufen. Doch werden langfristig die positiven oder die negativen Verhaltensänderungen bestehen? Und ist das Potential für einen Strukturwandel gegeben? 

Kollektives Frustessen

Eine Vielzahl von Studien unterschiedlicher Länder zum Einkaufsverhalten während dem Lockdown eint vor allem eine Erkenntnis: Es wurde viel bewusster eingekauft.[1][2][3] Eine Studie in Italien kategorisierte das Verhalten in drei Gruppen: Zunächst stiegen Verkaufszahlen von Produkten, die mit einer Stärkung des Immunsystems assoziiert werden (Orangen, Joghurt etc.), sowie lang haltbaren Lebensmitteln stark an (Shelter Effect). Als nächstes ließen Unsicherheit, Angst, Druck und Langeweile zu so genanntem Comfort Food greifen: in Italien wurden um 90% mehr Popcorn, um 30% mehr Kartoffelchips, um 60% mehr Konfekt und um 180% mehr Alkohol eingekauft.  Der Master Chef Effect ließ die Nachfrage nach Mehl, Germ, Butter und Eiern in die Höhe schießen[4] – ein Phänomen, das auch vielen Österreichern nicht fremd ist, wo der Lockdown in der Zeit vor Ostern und vor Weihnachten zunächst eine Germteig- und dann eine Mürbteig-Welle auslöste.

Während einige soziale Gruppen beim Einkauf vermehrt auf Gesundheit und Nachhaltigkeit achteten, führte der Lockdown in Italien vor allem in unteren Einkommensklassen zu einem erhöhten Übergewichtsrisiko: Die Schließung von Schulkantinen und finanzielle Instabilität führten zu vermehrtem Konsum von ungesundem Essen[5]. Auch waren Frauen stärker von Depression und Emotional Eating-Verhalten betroffen[6]. Eine andere Studie, durchgeführt in Europa und Lateinamerika, zeigte vor allem bei Jugendlichen einen Konsumanstieg von hochverarbeiteten Lebensmitteln wie Kartoffelchips oder Fertiggerichten.[7]

Diese, auch durch den (erzwungenen) Einbruch des Außer-Haus-Konsums entstandenen Trends könnten aufgrund der folgenden Rezession noch weit über das Ende der Lockdowns hinaus andauern. Ein Blick auf die Auswirkungen vergangener Wirtschaftskrisen zeigt[8], dass sinkende Einkommen nicht nur zu weniger Restaurantbesuchen, sondern auch zu steigenden Übergewichtszahlen führt. In Amerika waren auch infolge des Ausbruchs der Krise von 2008 vor allem Menschen in den untersten Einkommensklassen und Minderheiten davon betroffen. Die Folgekosten für das Gesundheitssystem waren enorm. Es ist essentiell, dass die öffentliche Hand einem solchen Trend weltweit bereits während der Lockdowns, aber auch danach aktiv entgegenwirkt – auch indem sie gezielt die vulnerablen Randgruppen, die davon besonders stark betroffen sind, anspricht.

Kürzere Lieferketten

Trotz des Frustessens kam es im Frühjahr offenbar zu einem starken Anstieg des Ernährungsbewusstseins. Ein europaweit zu begrüßender Trend war jener hin zu kürzeren Lieferketten: Sowohl der Ab-Hof-Verkauf als auch der Versand und Zustelldienst von bäuerlichen Produkten ist in einigen Ländern stark angestiegen. Bereits existierende Netzwerke erfuhren einen Boom, während einige Landwirte die Krise zur Erschließung neuer Absatzmärkte nutzten.[9][10][11] Die Zahlen zeigen, dass das oft proklamierte „Einkaufen beim Bauern“ tatsächlich vermehrt genutzt wurde: eine Feldstudie fand in Rumänien einen Anstieg von +60% und in Österreich gaben laut Statista 44% an, dass die regionale Herkunft der Produkte in Zukunft bei der Wahl des Lebensmittelgeschäfts wichtiger werde[12].

Dass kürzere Lieferketten einen geringeren CO2-Fußabdruck zur Folge haben, ist nichts Neues. Durch die abrupten Reaktionen einiger europäischer Länder, die im März 2020 Grenzen teilweise über Nacht sperren ließen, rückte jedoch noch ein weiterer Aspekt in das öffentliche Bewusstsein: Kürzere Lieferketten sind resilienter und erhöhen dadurch die Versorgungssicherheit eines Landes. Auch die gesundheitlichen und geschmacklichen Vorteile regionaler Lebensmittel sind bekannt, nur ließen die doch spürbar höheren Preise Konsumenten bisher nur vereinzelt dazu greifen. Es wird sich erst zeigen, ob die neuentdeckte Liebe der Konsumenten zum Kochen mit hochwertigen, lokal produzierten Zutaten Bestand haben wird – auch dann, wenn nach dem Lockdown eine globale Rezession Einkommen schrumpfen lassen und die Rückkehr in den hektischen Alltag Außer-Haus Konsum und Fertigprodukte wieder nötig machen werden.

Strukturwandel hin zu mehr Nachhaltigkeit?

Die willkommene (und oft auch einzige) Unterhaltung, die bewusstes Einkaufen und Kochen während des Lockdowns baten, lenkte die Aufmerksamkeit der Konsumenten nicht nur hin zu mehr Regionalität, sondern auch auf das Thema Nachhaltigkeit: Eine Umfrage von Accenture, die im April in 15 Ländern durchgeführt wurde, zeigte, dass die Hälfte aller Verbraucher gesundheitsbewusster einkaufte, und dies auch weiterhin plante. 45% trafen nachhaltigere Entscheidungen beim Einkaufen und gar 64% vermieden Lebensmittelabfälle verstärkt, wobei auch hier Konsumenten angaben, dies wahrscheinlich auch weiterhin zu tun.[13]  Dieser Nachhaltigkeitstrend spiegelt sich auch in der Erkenntnis einer amerikanischen Studie wider, die zeigte, dass der Fleischkonsum im Lockdown zurückging. Vor allem bei Frauen und jungen Menschen, sowohl aus der niedrigsten als auch der höchsten Einkommensgruppe war dies ausgeprägt.[14]Die rapide eingebrochenen Aktienkurse von den global größten Fleischproduzenten wie Tyson Foods Inc. unterstreichen dies.

Ob der Lockdown-induzierte Trend zu weniger Fleischkonsum diesen auch nachhaltig verringert, wird sich erst zeigen. Ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein könnte hier einen bleibenden Anreiz für die Massen bilden. Es wäre auch möglich, dass die Gefahr für pandemische Zoonosen, die von intensiver Tierhaltung und Wildtierhandel ausgeht, pflanzenbasierte Ernährung stärker in den Fokus rückt. Solche Fragestellungen spiegeln sich bereits in dem verstärkten Fokus landwirtschaftlicher Forschungsinstitute auf alternative Proteinquellen wider.[15]

Ein so disruptives Ereignis wie die COVID-19-Pandemie könnte einen positiven Strukturwandel begünstigen – die Konditionen dazu sind durch das verstärkte Ernährungsbewusstsein und der schlagartig gestiegenen Rolle von Einkaufen, Kochen und Essen in unserem Lockdown-Alltag eindeutig gegeben. Dem gegenüber stehen die destruktiven Auswirkungen, die Unsicherheit, Einsamkeit und wirtschaftliche Instabilität auf die Ernährung haben. Ob wir es schaffen, positive Verhaltensänderungen beizubehalten und negative Effekte zu überstehen, wird nicht nur in den Händen von Entscheidungsträgern, sondern an jedem einzelnen von uns liegen.


[1] Lauren Chenarides et al., “Food Consumption Behavior during the COVID‐19 Pandemic,” Agribusiness37, no. 1 (January 15, 2021): 44–81, accessed February 10, 2021, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/agr.21679.

[2] Carla Cavallo, Giovanna Sacchi, and Valentina Carfora, “Resilience Effects in Food Consumption Behaviour at the Time of Covid-19: Perspectives from Italy,” Heliyon 6, no. 12 (December 1, 2020): e05676, accessed February 10, 2021, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405844020325196.

[3] L. Laguna et al., “The Impact of COVID-19 Lockdown on Food Priorities. Results from a Preliminary Study Using Social Media and an Online Survey with Spanish Consumers,” Food Quality and Preference 86 (December 1, 2020): 104028.

[4]  Carla Cavallo, Giovanna Sacchi, and Valentina Carfora, “Resilience Effects in Food Consumption Behaviour at the Time of Covid-19: Perspectives from Italy,” Heliyon 6, no. 12 (December 1, 2020): e05676, accessed February 10, 2021, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405844020325196.

[5] Ibid.

[6] Laura Di Renzo et al., “Psychological Aspects and Eating Habits during COVID-19 Home Confinement: Results of EHLC-COVID-19 Italian Online Survey,” Nutrients 12, no. 7 (July 19, 2020): 2152, accessed February 10, 2021, https://www.mdpi.com/2072-6643/12/7/2152.

[7] María Belén Ruíz-Roso et al., “Changes of Physical Activity and Ultra-Processed Food Consumption in Adolescents from Different Countries during Covid-19 Pandemic: An Observational Study,” Nutrients 12, no. 8 (July 30, 2020): 2289, accessed February 10, 2021, https://www.mdpi.com/2072-6643/12/8/2289.

[8] Kellie O’Dare Wilson and Diane L. Scott, “Shrinking Budgets and Expanding Bodies: Battling Obesity When the Economic Belt Is Tight,” Journal of Community Practice 23, no. 3–4 (October 2, 2015): 477–491, accessed February 10, 2021, https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10705422.2015.1091419.

[9] Für Rumänien: Alina Butu et al., “The Impact of COVID-19 Crisis upon the Consumer Buying Behavior of Fresh Vegetables Directly from Local Producers. Case Study: The Quarantined Area of Suceava County, Romania,” International Journal of Environmental Research and Public Health 17, no. 15 (July 29, 2020): 5485, accessed February 10, 2021, https://www.mdpi.com/1660-4601/17/15/5485.

[10] Italien: Andrea Calori and Francesca Federici, “Coronavirus and beyond: Empowering Social Self-Organization in Urban Food Systems,” Agriculture and Human Values (Springer, September 1, 2020), accessed February 10, 2021, /pmc/articles/PMC7221227/.

[11] Österreich: “Lockdown: Bauern Bleiben Auf Gemüse Sitzen – Kaernten.ORF.At,” accessed February 10, 2021, https://kaernten.orf.at/stories/3074995/.

[12] “Österreich – Wichtigkeit Regionaler Produkte in Corona-Krise 2020 | Statista,” accessed February 10, 2021, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1111865/umfrage/wichtigkeit-regionaler-produkte-waehrend-und-nach-der-corona-krise-in-oesterreich/.

[13] “Accenture-Studie: Wie Die Corona-Krise Ethischen Und Digitalen Konsum Fördert,” accessed February 10, 2021, https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/accenture-studie-wie-die-corona-krise-ethischen-und-digitalen-konsum-foerdert-182790.

[14] Lauren Chenarides et al., “Food Consumption Behavior during the COVID‐19 Pandemic,” Agribusiness 37, no. 1 (January 15, 2021): 44–81, accessed February 10, 2021, https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/agr.21679.

[15] Piotr Rzymski et al., “COVID-19 Pandemic Is a Call to Search for Alternative Protein Sources as Food and Feed: A Review of Possibilities,” Nutrients 13, no. 1 (January 5, 2021): 150, accessed February 10, 2021, https://www.mdpi.com/2072-6643/13/1/150.

Lösen Klimazölle die Probleme einer CO2 Steuer?

2026, wenn die EU ihre Klimazölle einführt, dann sind alle Probleme der CO2 Steuer gelöst.

Oder doch nicht?

Und der österreichische Landwirtschaftskammer-Chef sagt, dass wir keine Fleischsteuern, sondern einen Klimazoll brauchen. Ist ein Klimazoll also das Wundermittel, das uns in die CO2-neutrale Zukunft bringen wird?

Wir wissen, dass eine CO2 Steuer viele Vorteile bringen kann, allerdings habe ich in meinen Artikeln zu den Auswirkungen der CO2 Steuer auf Lebensmittel und auf die Landwirtschaft erklärt, dass sie auch einige negative Folgen haben kann. Ist es möglich, diese durch Klimazölle abzufedern?

In diesem Artikel erkläre ich euch:

  1. Was sind Klimazölle?
  2. Warum braucht es Klimazölle?
  3. Sind Klimazölle überhaupt nützlich?
  4. Kann es sein, dass Klimazölle mehr schaden als nutzen?

Und zum Schluss fasse ich euch die Kernpunkte nochmal übersichtlich zusammen, also schaut es euch auf alle Fälle bis ganz zum Ende an!

Was ist eine CO2 Steuer?

Bevor wir starten gibt’s eine ganz kurze Wiederholung, was eine CO2 Steuer überhaupt ist:

Um die Klimakrise lösen zu können, muss der CO2-Ausstoß drastisch reduziert werden. Ein Instrument, mit dem das erreicht werden kann, ist die CO2 Steuer. Für die CO2 Steuer gibt es unzählig viele Modelle, aber im Groben geht es darum: Bei der Produktion von fast allen Gütern, vom Apfel, T-Shirt bis zum Auto, werden CO2 oder andere Treibhausgase ausgestoßen, die den Klimawandel verursachen und beschleunigen. Um Unternehmen einen Anreiz zu geben, möglichst viel CO2 in der Produktion ihrer Güter einzusparen und Konsumenten beim Einkaufen eher zu den CO2-armen Alternativen greifen zu lassen, gibt es die Idee, dass Firmen wenn sie ein Produkt auf den Markt bringen, dessen CO2 Fußabdruck berechnen müssen, und dafür Steuern zahlen = ergo CO2 Steuer.

Das war nur ein ganz grober Überblick, denn Youtube bietet bereits viele richtig gute Erklärvideos dazu, beispielsweise dieses hier von Mailabdieses hier von Joul, oder dieses von Doktor Whatson.

Mit dieser Basis können wir uns gleich mit der ersten Frage befassen:

1. Was sind Klimazölle?

Wie ein „normaler“ Zoll auch, ist ein Klimazoll ein Aufschlag auf den Preis eines importierten Gutes, wenn es die Grenze eines Landes überquert. Die Idee hinter dem Klimazoll ist, dass dieser eine Ergänzung zu einer internen CO2 Bepreisung darstellt. Zum Beispiel wird in der EU aktuell dem CO2-Ausstoß gewisser Produkte ein Preis durch das ETS (Emission Trading System = Emissionshandelssystem) gegeben, was die Produktion in der EU teurer macht, als in anderen Ländern. Hier kommt Carbon Leakage ins Spiel: Carbon Leakage bezeichnet das Phänomen, dass Industriebetriebe abwandern, wenn ein Land strenge Klimaschutzauflagen (oder eine CO2 Bepreisung) einführt, weil sie wo anders billiger und unter geringeren Auflagen produzieren können. Und dieser Carbon Leakage Effekt führt dann dazu, dass im Endeffekt kein CO2 eingespart wird, sonder einfach nur der CO2 Verbrauch in andere Länder ausgelagert wird. Es kann sogar so weit gehen, dass global gesehen mehr CO2 ausgestoßen wird als davor, weil durch die Produktionsverlagerung mehr Transportwege anfallen. Und mit solch einem Ergebnis hätte ein Gesetz zum Klimaschutz dann stark sein Ziel verfehlt.

Um nun eine Wettbewerbsfairness herzustellen und Carbon Leakage zu vermeiden, gibt es nun die Forderung nach so genannten „Klimazöllen“, oder wie sie eigentlich heißen sollen: Carbon Border Adjustment, also CO2 Grenzausgleich.

Dieser Klimazoll soll sich danach messen, wieviel CO2 ein Produkt bis zur Grenze ausgestoßen hat. Also umso mehr CO2 ein Importgut bei der Produktion und im Transport verbraucht, umso höher wäre der Klimazoll. So würde auch bei Importprodukten der CO2 Fußabdruck (auch jener, der durch den Transport entsteht) in den Preis einfließen.

Aktuell wird in der EU ein Gesetzesvorschlag zu Klimazöllen diskutiert. Wenn ihr mehr dazu wissen möchtet, fragt gerne in den Kommentaren nach!

2. Warum braucht es Klimazölle?

EU-weit sind sich einige Politiker bereits bewusst, dass eine CO2 Steuer den Carbon Leakage Effekt nach sich ziehen kann. Deshalb gibt es schon seit Langem die Forderung nach Klimazöllen. Wenn beim Import in die EU also ein Klimazoll auf das Produkt draufgeschlagen würde, dann würde das natürlich europäische Güter im Verhältnis viel viel attraktiver für Konsumenten machen. Das könnte heißen, dass Produzenten die gestiegenen Kosten (die sie ja durch den CO2 Preis haben) durch höhere Preise, die sie für ihre Produkte verlangen könnten, wieder wettmachen könnten. Klimazölle könnten also eine Möglichkeit sein, die negativen Auswirkungen einer CO2 Steuer auf Produzenten abzufedern.

Ein weiterer Grund für Klimazölle ist das Herstellen einer Wettbewerbsfairness zwischen inländischen und ausländischen Produzenten.

Außerdem würden heimisch produzierte Produkte durch einen Klimazoll auf importierte Produkte dann im Verhältnis attraktiver für Konsumenten werden. Und da heimische Produkte stark kürzere Transportwege als importierte haben, würde dies den CO2 Ausstoß durch Transport verringern.

3. Sind Klimazölle überhaupt nützlich?

Bevor man sich die Frage stellt, ob Klimzölle sinnvol sein könnten, muss man sich wohl anschauen, ob Carbon Leakage in der „echten Welt“ wirklich ein Thema ist:
Eine Studie von zwei deutschen Ökonomen aus dem Jahr 2019 beispielsweise untersuchte, ob der europäische Emissionshandel ETS zu Carbon Leakage führt. Mittels ihrer Analyse von Handelsdaten fanden sie keinen statistisch signifikanten Carbon Leakage Effekt.
So, das war einmal eine einzelne Studie zum europäischen ETS.
Ich habe außerdem eine Meta-Analyse von zwei Ökonomen der London School of Economics aus dem Jahr 2017 gefunden. Eine Meta-Analyse ist im Endeffekt nichts anderes als eine Zusammenfassung von bestehenden Studien. In dieser hier wurde eine große Zahl von Studien verglichen, unter anderem zu der Frage, ob CO2 Steuern oder strenge Umweltauflagen zu Carbon Leakage führen. Also während die vorherige Studie nur das europäische ETS untersuchte, wurden in diesen Studien alle möglichen CO2 Steuern und Umweltauflagen begutachtet. Die untersuchten Studien sind besonders wertvoll, weil sie ausschließlich bereits bestehende Steuern/Auflagen analysieren (= ex post Analysen). So gibt es sehr viel Evidenz, dass es durch CO2 Steuern oder strenge Umweltauflagen sehr wohl zu Carbon Leakage kommt. Dieser Effekt ist meist nur auf wenige Industriesektoren beschränkt, die allerdings besonders stark betroffen sind.
Hier muss jeder selbst abwägen, ob man findet, dass „ein klein bisschen Carbon Leakage“ ja vernachlässigbar ist, oder ob jede einzelne Tonne, die von der EU in andere Länder durch Carbon Leakage verschoben wird, eine Tonne zu viel ist. Soviel also zur Frage, ob Carbon Leakage in der Praxis eine Relevanz hat.


Nun gehen wir einen Schritt weiter, und schauen uns an, ob man so einen Carbon Leakage Effekt mittels Klimazöllen überhaupt verhindern oder verringern kann:

Dieses Thema ist noch sehr neu, denn es gibt leider noch kein einziges Land, das solche Klimazölle bereits hat. Daher kann die Wissenschaft in dieser Fragestellung auf keine „real-life“ Daten zurückgreifen.
Zwei französische Wissenschaftler haben sich die trotzdem die Frage gestellt und 2014 eine Meta-Analyse präsentiert, also eine Zusammenfassung von 25 bestehenden Studien zu der Frage, ob ein Klimazoll Carbon Leakage verhindern kann. Diese Meta-Analyse ist wissenschaftlich besonders hochwertig, da sie die Ergebnisse von vielen unterschiedlichen Studien aus unterschiedlichen Ländern, von unterschiedlichen Forschungsinstituten und mit unterschiedlichen Datensätzen vergliche hat.
Aus den 25 verglichenen Studien geht hervor, dass aufgrund von Carbon Leakage zwischen 5% und 25% des Reduktionspotentials für CO2 verloren geht, wenn es keinen Klimazoll gibt.
Also bis zu einem Viertel von dem „Gewinn“ einer CO2 Steuer geht verloren, weil Firmen anstatt ihren CO2 Ausstoß zu reduzieren, einfach ihren Produktionssitz verlagern.
Die 25 Studien zeigen auch, dass Klimazölle Carbon Leakage stark reduzieren können, und das Potential haben, die Emissionsreduktionen von Ländern mit CO2 Steuern um zusätzliche 5% zu erhöhen.


Die vielen Ausnahmen des ETS
Ein weiterer Punkt, den man hier bedenken muss: Der EU Emissionshandel sieht aktuell für Industriesektoren, die stark von Carbon Leakage gefährdet sind, großzügige Ausnahmen vor – eben um sie vor Carbon Leakage zu schützen. Wenn es jetzt Klimazölle gäbe, könnte man diese Ausnahmen abschaffen. Dadurch würde der Emissionshandel im Ganzen auch effizienter werden.


Nun kurz zusammengefasst: Während es unterschiedliche Ergebnisse dazu gibt, wie relevant Carbon Leakage jetzt wirklich ist, zeigen die relevantesten Studien klar, dass Klimazölle dazu beitragen können, diesen negativen Effekt zu verhindern. Außerdem könnten so die Sonderausnahmen, die gewissen Industriesektoren innerhalb des ETS haben, abgeschafft werden.

Und diese Sonderausnahmen sind aktuell auch der Grund, warum EU Klimazölle aktuell nur sehr wenige Sektoren abdecken würden – nämlich nur die, die auch innerhalb der EU vom Emissionshandel abgedeckt werden. Das sind beispielsweise die Stahlproduktion oder der Flugverkehr. Der absolute Großteil der Importe wäre nicht betroffen, allen voran auch Lebensmittel, Elektrogeräte und vieles mehr. Deshalb haben die aktuell von der EU vorgeschlagenen Klimazölle wahrscheinlich nur ein sehr kleines CO2 Reduktionspotential. Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, wenn sie nur ein bisschen helfen, dann zahlt sich das ja trotzdem aus, oder? Oder können Klimazölle auch schaden?

4. Kann es sein, dass Klimazölle mehr schaden als nutzen?

Um diese Frage zu beantworten, muss man bedenken, dass internationaler Handel keine Einbahnstraße ist. Natürlich importieren EU Länder viel, gleichzeitig is die Gesamtwirtschaft der EU stark vom Export abhängig. Zum Beispiel kommen 6 von 10 in Österreich erwirtschafteten Euros aus dem Export.

Nun würden Klimazölle Importe aus anderen Ländern in die EU drastisch reduzieren. Diese französische Studie aus 2016 berechnete beispielsweise, dass wenn die EU 2015 einen Klimazoll eingeführt hätte, diesfür die USA Exportreduktionen von bis zu 1.4 Milliarden Dollar bedeutet hätte. Das würde den Ländern, die in die EU exportieren, natürlich nicht gefallen.

Und seit dem zweiten Weltkrieg gibt es eine internationale Organisation, die zunächst GATT und dann WTO benannt wurde, die das Ziel hat, fairen internationalen Handel zu garantieren. Unter den 164 Mitgliedsländern ist auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten. Die WTO hat auch ein eigenes Gerichtssystem, und dort würden Exportländer sicher klagen, dass die EU Klimazölle nicht fair sind und den freien internationalen Handel blockieren.

Infolge kann es dann zu „Vergeltungsschlägen“ kommen, also zum Beispiel könnte Brasilien dafür den österreichischen Weinsektor, oder die österreichischen Chip-Exporte, aber auch jeglichen anderen Wirtschaftszweig, der exportiert, mit hohen Zöllen bestrafen. Das könnte zu starken Verlusten für viele österreichische und europäische Unternehmen führen: Vom kleinen Familienbetrieb bis hin zu den großen Konzernen könnten alle getroffen werden.

Und solche zerrütteten Handelsbeziehungen haben natürlich Konsequenzen. Diese Studie vom Europäischen Forschungszentrum Bruegel von 2020 beispielsweise fand heraus, dass der Schaden durch Klimazölle dramatisch sein kann, weil die EU dadurch ihre Beziehungen auch zu wichtigen Partnern im Klimaschutz nicht gerade fördert.

Der aktuelle OECD Präsident, der Australier Mathias Corman, sowie der Internationale Währungsfonds setzen sich deshalb auch stark für eine globale CO2 Steuer ein. Dadurch wäre ein Klimzoll dann hinfällig, denn es würden ja in allen Ländern bereits der CO2 Ausstoß der Produktion bepreist werden.

Also zusammengefasst: wenn das Ziel ist, global für den Klimaschutz zusammenzuarbeiten, dann sind zerrüttete Beziehungen wahrscheinlich schlecht fürs Klima.
Nun gibt es noch die Möglichkeit des gegenseitigen Anrechnen und Anerkennens: Wenn die EU bei den Klimazöllen zB den kalifornischen Produzenten anrechnet, dass diese bereits zu Hause einen CO2 Preis zahlen müssen, und dann keinen zusätzlichen Klimazoll bekommen, kann das allein schon die Lage entspannen. Das alles macht klar, dass in diesem Thema sehr viel Diplomatie gefragt ist.


Klimazölle & CO2 Steuern allein sind auch nicht die Antwort
Man darf auch nicht vergessen: Wenn jetzt nur ein paar große Länder ihren Konsum von fossilen Treibstoffen reduzieren, kann das auch einfach dazu führen, dass dessen Weltmarktpreis stark sinkt, und es in Ländern ohne CO2 Steuer und Klimazöllen irrsinnig billig wird, Öl und Kohle zu verwenden. Das ist ja auch der Grund, warum internationale Abkommen beim Thema Klimaschutz so wichtig sind.

Zusammenfassung & Key Take-Aways

Pros:

  • Wissenschaft einig: Klimazölle effektiv gegen Carbon Leakage
  • Können helfen, den positiven Effekt von CO2 Steuern zu erhöhen

Cons:

  • Wie stark wirksam sie sind, ist umstritten
  • Viele Sektoren von Klimazöllen nicht abgedeckt
  • Internationaler Handel keine Einbahnstraße
  • Kein Allheilmittel, allein nicht die Antwort

So, und nun seid ihr dran: Was denkt ihr über die Klimazölle? Sollte die EU Klimazölle einführen, oder überwiegen hier die Kosten über den Nutzen?

Oder habt ihr weitere Fragen zum Thema Nachhaltigkeit & Wirtschaft? Schreibts mir in die Kommentare! Ich bin schon ganz gespannt darauf!

Wenn ihr weitere verlässliche Informationen und gut recherchierte Fakten zu Nachhaltigkeitsfragen haben möchtet, dann klickt als erstes mal auf ABONNIEREN. Und natürlich wär’s der Wahnsinn für mich wenn ihr diesen Artikel interessant und hilfreich findet und mir das mit einem Daumen nach oben beim Video zeigen würdet!

Bleibt neugierig! Wir sehen uns im nächsten Video von LydiaExplains!